Dr. med. Ruth Draths im Experteninterview zum Thema: Häufige Ursachen, Diagnosen und Behandlungsansätze bei Amenorrhö

Es gibt verschiedene Gründe, warum junge Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter unter Amenorrhoe – dem Ausbleiben der Menstruation – leiden. Neben hormonellen Störungen kommen auch Faktoren wie anatomische Fehlbildungen, eine vorzeitige Menopause oder ein Gewichtsverlust als Ursache für Amenorrhoe infrage. Der jeweilige Therapieansatz richtet sich nach der individuellen Diagnose. Auch die Psyche und die Ernährung haben einen großen Einfluss auf den Zyklus. In diesen Fällen kann eine kombinierte Behandlung aus Phytotherapie, psychologischer Beratung und weiteren Maßnahmen wie der Änderung des Lifestyles helfen.

Experteninterview Ruth Drahts

Dr. R. Draths: Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen primärer und sekundärer Amenorrhoe. Primäre Amenorrhoe bedeutet, dass keine Menarche, also gar keine Menstruation eingetreten ist. Diese Diagnose wird bei uns eigentlich immer schon in der Jugendzeit gestellt, denn spätestens mit 16 Jahren sollte eine primäre Amenorrhoe abgeklärt werden. 

Eine sekundäre Amenorrhoe, also das Ausbleiben der Menstruation über 6 Monate, kann in jedem Alter auftreten und ist meistens hormonell bedingt. In meiner Praxis sehe ich leider häufig die Amenorrhoe infolge eines Gewichtsverlustes, also meistens bei Anorexie. Weitere wichtige Ursachen sind Hormonstörungen wie das Polyzystische Ovar-Syndrom (PCO-S), eine vorzeitige Menopause oder auch Nebenwirkungen von Medikamenten. 

Hinter der primären Amenorrhoe kann hingegen auch eine anatomische Ursache stecken, also eine genitale Fehlbildung wie das MRKH (fehlende Anlage des Uterus) oder eine Besonderheit der Geschlechtsentwicklung. Dies kommt zwar nicht häufig vor, gehört aber zu den wichtigen Ursachen für primäre Amenorrhoe und ist für die Betroffenen schwerwiegend. Ebenso ist die Diagnose eines vorzeitigen Ovarversagens, auch zum Beispiel beim Turner-Syndrom, mit primärer oder sekundärer Amenorrhoe enorm einschneidend und belastend. Amenorrhoe kann aber auch das Symptom einer anderen Erkrankung sein, z.B. einer chronischen Darmentzündung, einer Resorptionsstörung, einer Schilddrüsenkrankheit oder auch eines schweren Eisenmangels.

Dr. R. Draths: Für Jugendliche mit primärer Amenorrhoe ist das Fehlen der Menstruation oft sehr belastend. Sie vergleichen sich mit anderen Mädchen und fühlen sich dadurch verunsichert. Es ist daher immer wichtig, eine Amenorrhoe ernst zu nehmen und das Problem rechtzeitig und sorgfältig abzuklären. Oft ist es aber relativ rasch möglich, Ängste zu beruhigen und ein klares Vorgehen zu empfehlen. Eine entscheidende Frage ist oft, ob „nur“ die Menstruation ausbleibt oder ob die gesamte pubertäre Entwicklung verspätet ist oder fehlt.

Dr. R. Draths: Wie oben ausgeführt, ist eine Amenorrhoe oft hormonell bedingt. Von einem Ungleichgewicht spricht man zum Beispiel beim PCO-Syndrom, wobei vereinfacht gesagt ein Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Hormonen besteht. Die Diagnostik umfasst immer die vier Schritte: die Anamnese, die klinische Untersuchung, die Sonografie und die Hormonuntersuchung im Blut.

Dr. R. Draths: Die Behandlung ist natürlich abhängig von der Ursache der Amenorrhoe. Das Spektrum ist breit. Es soll auf keinen Fall einfach eine Pille zur Zyklusregulation gegeben werden. 

Liegt eine Essstörung als Ursache der Amenorrhoe vor, sollte unbedingt eine psychologische Beratung eingeleitet werden; bei Untergewicht geht es um die Gewichtszunahme. Liegt die Ursache in einer chronischen Erkrankung, muss diese behandelt werden. Bei PCOS und Übergewicht stehen die Lifestyle-Änderungen, Ernährungsberatung und der Endometriumschutz im Vordergrund. 

Bei Jugendlichen, die in den ersten Jahren nach der Menarche noch unregelmäßige Blutungen haben und durch die Oligo-amenorrhoe verunsichert sind, kann primär mit Phytotherapie (z. B. Mönchspfeffer) oft schon eine Verbesserung erreicht werden. Auch andere nicht-hormonelle Methoden können unterstützend angeboten werden. Bei primärer Amenorrhoe hingegen sollten die Ursachen unbedingt zuerst sorgfältig abgeklärt werden, bevor irgendwelche therapeutischen Eingriffe vorgenommen werden. Auf eine Pille nur zur „Zyklusregulation“ sollte möglichst verzichtet werden, falls keine Verhütung benötigt wird.

Dr. R. Draths: Eine Zyklusstörung ist oft eine Gelegenheit, über den weiblichen Zyklus überhaupt zu sprechen und darüber aufzuklären. Einerseits können besorgte Mütter oft beruhigt werden, andererseits muss gelegentlich Überzeugungsarbeit geleistet werden, um unbegründete Ängste vor einer notwendigen hormonellen Therapie zu nehmen. 

Eine besondere Herausforderung ist die Begleitung Jugendlicher mit Anorexie und anderen Essstörungen, was leider sehr häufig ist und unbedingt im Team mit anderen Fachpersonen erfolgen sollte. 

Die schwierigsten und für beide Seiten belastenden Situationen sind die Diagnosen, die mit einer definitiven Unfruchtbarkeit einhergehen, wie das MRKH-Syndrom (fehlende Uterusanlage), ein POF (vorzeitiges Ovarialversagen) oder eine chromosomale Störung wie das Turner-Syndrom oder ein DSD (Besonderheit der Geschlechtsentwicklung, zum Beispiel eine XY-Anlage).

Dr. R. Draths: Wenn chronische Erkrankungen die Ursache der Amenorrhoe sind, dann wird das Zyklusproblem meist mit deren Behandlung behoben (zum Beispiel bei einer Crohn-Colitis). Chronisch-entzündliche Erkrankungen führen häufig zu einer verzögerten Pubertätsentwicklung und damit zu einer primären Amenorrhoe. Sobald sich der Allgemeinzustand verbessert, verläuft die Entwicklung wieder normal. Bei Behinderungen, zum Beispiel bei Rollstuhlfahrerinnen, geht es häufig um den Umgang mit der Menstruation. Gelegentlich wird eine Amenorrhoe gewünscht, zum Beispiel durch eine Hormonspirale, um den Umgang mit den Blutungen zu erleichtern.

Dr. R. Draths: Der gynäkologische Ultraschall, bei Jugendlichen der Transabdominale Ultraschall, ist sehr wichtig in der Diagnostik der Amenorrhoe. Die Sonografie ermöglicht die Beurteilung der hormonellen Aktivität der Ovarien, die Follikelreifung, die Anatomie des Uterus und vor allem der Endometriumaufbau. Damit kann auch die Therapie begleitet und z.B. bei einer Anorexie als Biofeedback genutzt werden. Die Jugendliche kann anhand des Uterus, des Endometriumaufbaus und der Ovarien direkt sehen, ob ihr Körper langsam gesundet und die Ovaraktivität wieder einsetzen wird.

Der 3D/4D-Ultraschall spielt bei Jugendlichen in der primären Diagnostik keine Rolle. Er kann allenfalls für die genauere Diagnostik einer genitalen Fehlbildung etwas beitragen; allerdings nur transabdominal, da sich der transvaginale Zugang meist verbietet.

Dr. R. Draths: Da die Ursache einer Amenorrhoe so unterschiedlich sein kann, ist eine allgemeine Antwort nicht möglich. Ich empfehle, eine längerdauernde Zyklusstörung abzuklären. Natürlich ist es immer sinnvoll, gut auf sich zu achten, sich gesund zu ernähren und sich genug zu bewegen. Wenn aber die Blutung aus unklaren Gründen ausbleibt und eine Schwangerschaft ausgeschlossen ist, sollte eine Abklärung erfolgen.

Dr. med. Ruth Draths im Experteninterview zum Thema: Häufige Ursachen, Diagnosen und Behandlungsansätze bei Amenorrhö

Dr. med. Ruth Draths

Die Gynäkologin Dr. med. Ruth Draths berät und behandelt Mädchen und Frauen in ihrer eigenen Praxis und berät sie zu Themen rund um Pubertät, Kinderwunsch, Verhütung und hormonellen Störungen wie Amenorrhoe. Zusätzlich begleitet sie Frauen während ihrer Schwangerschaft, bei Inkontinenz oder gynäkologischen Erkrankungen und der gynäkologischen Vor- und Nachsorge. Frau Draths ist Buchautorin, hat zahlreiche Artikel veröffentlicht und ist aktuell Präsidentin der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Kinder- und Jugendgynäkologie Gynea.