Experteninterview mit Prof. Dr. Hartmut Göbel: Migräne in der Schwangerschaft
Migräneattacken während der Schwangerschaft sind besonders belastend, da Betroffene während dieser Zeit auf die Einnahme von Medikamenten möglichst verzichten möchten, um das ungeborene Kind nicht zu belasten. Was Sie bei Migräneattacken während der Schwangerschaft tun können und auf welche Wirkstoffe Sie verzichten sollten, das erklärt Ihnen Prof. Dr. Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel, in unserem Experteninterview.
Prof. Dr. Hartmut Göbel: Leichte Migräneattacken lassen sich in vielen Fällen auch ohne den Einsatz von Medikamenten lindern. Diese nichtmedikamentösen Methoden sind für werdende Mütter besonders empfehlenswert, da das ungeborene Kind möglichst wenig pharmazeutischen Wirkstoffen ausgesetzt werden sollte.
Bewährt haben sich insbesondere:
- Ruhe und Entspannung für Körper und Geist
- Reizabschirmung in einem ruhigen, abgedunkelten Raum
- Kühlen des Kopfes mit einem Eisbeutel, einem Kühlpack oder speziellen Kühlkompressen bzw. -mützen
Gerade der erste Punkt – Ruhe und Entspannung – ist für werdende Mütter oft schwierig zu realisieren: Zum einen ist die Schwangerschaft an sich aufregend, in die Vorfreude mischen sich oft auch Sorgen und Ängste, zum anderen gibt es privat wie beruflich oft viele Vorbereitungen zu treffen.
An dieser Stelle ist nicht nur das private Umfeld, sondern auch der Arbeitgeber gefragt: Wenn die Belastung durch Lärm und/oder Stress am Arbeitsplatz wiederholt zu schweren Migräneattacken führt und keine adäquaten Schutzmaßnahmen möglich sind, kann der betreuende Arzt gegebenenfalls ein individuelles Beschäftigungsverbot aussprechen. Grundlage hierfür ist §16 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG). Zögern Sie nicht, diese Möglichkeit bei Ihrem Gynäkologen oder Neurologen anzusprechen!
Ebenso wichtig ist es, ärztliche Hilfe zu suchen, wenn nichtmedikamentöse Alternativen nicht mehr helfen und die Migräneattacken sehr heftig sind oder sehr häufig auftreten.
Prof. Dr. Hartmut Göbel: Kommt es während der Schwangerschaft zu schweren Migräneattacken mit Übelkeit und Erbrechen, kann eine medikamentöse Therapie ratsam sein. Denn derart heftige Attacken beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität, sondern bedeuten auch ein erhöhtes Risiko für Komplikationen bei Mutter und Kind.
Dabei gilt für die medikamentöse Migräne-Behandlung während der Schwangerschaft stets die Prämisse “so wenig wie möglich, so viel wie nötig”. Dementsprechend ist sowohl bei der Wahl der Wirkstoffe als auch bei der Dosierung besondere Sorgfalt gefragt:
- Metoclopramid ist ein Antiemetikum, das während der gesamten Schwangerschaft gegen Übelkeit und Erbrechen eingenommen werden darf. Wenn dies keine Besserung bewirkt, kann im zweiten und dritten Trimester ersatzweise Ondansetron gegeben werden.
- Triptane sind Migränemittel mit gefäßverengender, entzündungshemmender und schmerzlindernder Wirkung. Als Mittel der Wahl empfiehlt sich Sumatriptan; wenn dieses nicht anschlägt und die Behandlung dringend notwendig ist, können alternativ auch andere Triptane verwendet werden. Bislang sind keine Triptan-bedingten Schwangerschaftskomplikationen bekannt.
- Schmerzmittel auf Basis von Acetylsalicylsäure und Ibuprofen können bei Migräneattacken im ersten und zweiten Trimester bei dringender medizinischer Notwendigkeit eingenommen werden. Bei schweren Schmerzen kann ausnahmsweise auch Metamizol gegeben werden.
Prof. Dr. Hartmut Göbel: Wie schon erwähnt, erfordert die medikamentöse Migräne-Therapie während der Schwangerschaft stets eine sorgfältige Abwägung, die die Bedürfnisse der Mutter wie auch den Schutz des ungeborenen Kindes bestmöglich berücksichtigt. Der Fortschritt der Schwangerschaft ist dabei ein entscheidender Faktor.
So sind im dritten Trimester viele Schmerzmittel kontraindiziert:
- Metamizol kann bei der Einnahme im dritten Trimester fetotoxisch wirken und wird daher grundsätzlich in dieser Zeitspanne nicht verschrieben.
- Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen sind zwar rezeptfrei erhältlich, werden jedoch mit einem wesentlich höheren Risiko für nachteilige perinatale Gesundheitsfolgen beim Kind in Verbindung gebracht. Sie sollten daher im dritten Schwangerschaftsdrittel gemieden werden.
Prof. Dr. Hartmut Göbel: Zum einen ist Paracetamol bei migränebedingten Kopfschmerzen ohnehin nicht zu empfehlen: So ergab ein aktueller Cochrane-Review, dass Ibuprofen hinsichtlich der Wirksamkeit überlegen ist. Paracetamol wirkt nicht bei schweren oder gar sehr schweren Schmerzen. Es ist dafür auch nicht zugelassen. Dementsprechend wird Paracetamol nur als Alternative bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten gegenüber anderen Schmerzmitteln empfohlen – so die aktuelle S3-Leitlinie zur Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne.
Zum anderen ist die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft, insbesondere in Kombination mit anderen nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR), mit einem erhöhten Risiko für die Gesundheit des Kindes verbunden. Dies betrifft insbesondere neurologische und psychische Entwicklungsstörungen, Reproduktionsstörungen und eine Neigung zu Überempfindlichkeitsreaktionen auf Umweltreize (Atopie).
Kurz gesagt: Während der Schwangerschaft ist von der Selbstmedikation mit Paracetamol ausdrücklich abzuraten. Die Einnahme sollte, wenn überhaupt, nur in Rücksprache mit dem Arzt erfolgen:
- in Ermangelung von Alternativen bei der Migränetherapie,
- bei dringender Indikation,
- mit geringstmöglicher Dosierung und Einnahmedauer sowie
- nicht in Kombination mit anderen Arzneimitteln.
Weitere Informationen zum Autor finden Sie hier:
1 https://schmerzklinik.de/author/goebel/
2 https://schmerzklinik.de/service-fuer-patienten/buchtipps/
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Hartmut_G%C3%B6bel