Experteninterview mit Dr. Annette Abhau: Medikamente in der Stillzeit

Experteninterview mit Dr. Annette Abhau

Junge Mütter sind oft verunsichert, was den Medikamentengebrauch angeht: In der Schwangerschaft wird zum weitestmöglichen Verzicht auf Pharmazeutika geraten, um das ungeborene Kind zu schützen – doch wie sieht es nach der Geburt aus? Können Medikamente über die Muttermilch an den Säugling weitergegeben werden und, wenn ja, wie gefährlich ist das?

Diese und andere häufig gestellte Fragen zum Thema “Medikamente in der Stillzeit” haben wir an Dr. Annette Abhau herangetragen. Als Apothekerin, Dozentin für das Fach Pharmakologie und Autorin verfügt sie über jahrzehntelange Erfahrung in der Beratung stillender Mütter.

Annette Abhau: Bevor ich auf Ihre Frage eingehe, möchte ich zunächst etwas Allgemeines zur Anwendung von Arzneimitteln sagen: Arzneimittel sollten zu keiner Zeit des Lebens ohne Grund angewendet werden. Wenn Arzneimittel indiziert sind, sollten sie nach Abwägen von Nutzen und Risiko, so lange wie nötig und so kurz und niedrig dosiert wie möglich angewendet werden. Sowohl während der Schwangerschaft und Stillzeit, als auch bei Säuglingen und kleinen Kindern macht man sich in der Regel – durchaus zu Recht! – besonders viele Gedanken darüber und hinterfragt jede Medikation kritischer als sonst – jedoch gelten die genannten Grundregeln von Beginn des Lebens bis zum Ende. 

Jede Selbstmedikation hört dort auf, wo eine Diagnose durch einen Arzt gestellt werden muss und auch dann, wenn die Beschwerden subjektiv empfunden sehr stark sind, einen fulminanten Verlauf nehmen oder Gefahr im Verzug ist. Dieser Grundsatz gilt ebenfalls für jede Lebensphase und jede Indikation. 

Eine Hauptaufgabe in der Beratung in der Apotheke besteht daher im Erfragen und Erspüren der Schwere der Symptome, um ggf. den Kunden bzw. die Kundin unverzüglich zum Arzt zu schicken. Gerade in der Schwangerschaft und Stillzeit, bei Säuglingen und Kleinkindern ist die Prävention besonders wichtig und ein frühzeitiges Handeln um schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden.

Dementsprechend sind je Beschwerdebild die unterschiedlichsten medikamentösen und nicht-medikamentösen Maßnahmen zielführend. Ich warne immer vor einem Schwanz-Weiß-Denken, sowie dem „Verteufeln“ oder „Hypen“ bestimmter Therapierichtungen. Vielmehr braucht es Augenmaß und Sachverstand, sowie eine sorgfältige Prüfung, was ein Medikament oder eine Therapiemaßnahme leisten kann, welche Wirkung zu erwarten ist – allein davon hängt ab, welche Maßnahmen in welcher Situation ergriffen werden können. 

Die Aufgabe in der Apotheke ist dabei, um das jeweilige Arzneimittel herum zu beraten, die Kundinnen bzw. Kunden ggf. rechtzeitig zum Arzt zu schicken, die Therapietreue bei ärztlich verordneten Maßnahmen zu fördern und auch sonstige Optionen wie Ernährung, Physiotherapie, Wasseranwendungen oder Yoga zu thematisieren, soweit sie sinnvoll erscheinen. Ich habe dabei einen ganzheitlichen Beratungsanspruch und bemühe mich um ein „Rundum-sorglos-Paket“, bei dem ich die Fragen und Ängste der Kundinnen und Kunden ernst nehme, sie gedanklich abhole, wo sie stehen und mit allen nötigen Informationen versorgen kann. Dabei gibt es nie nur einen Weg, sondern die Wege sind so vielfältig wie die Menschen selbst.  

So kann ich auch bei der Frage nach sanften Alternativen zur Behandlung typischer Stillbeschwerden  die Antworten lediglich anreißen und einige ausgewählte Maßnahmen ansprechen – natürlich immer vor dem Hintergrund, die Kundin bei Bedarf unverzüglich an ihren Gynäkologen bzw. ihre Gynäkologin zu verweisen.

Annette Abhau: Eine Brustdrüsenentzündung (Mastitis puerperalis) ist eine Infektion, die meist in der 2. bis 4. Woche nach der Entbindung auftritt und hauptsächlich durch Staphylococcus aureus (94 % der Fälle) ausgelöst wird. Seltener sind Streptokokken, E. coli, Pneumokokken, Klebsiellen oder Proteus an der Infektion beteiligt. In der Regel erfolgt die Übertragung vom Säugling auf die Mutter, besonders wenn Rhagaden das Eindringen der Keime begünstigen. Bei mangelnder Hygiene können auch Keime aus der Umgebung ursächlich sein. Umgekehrt können die Bakterien auch von der Mutter auf den Nasen-Rachen-Raum des Säuglings übertragen werden. Bei der sog. interstitiellen Mastitis dringen die Keime besonders durch die entstandenen Rhagaden in die Lymphspalten des Bindegewebes ein, während sie bei der sog. parenchymatösen Mastitis, insbesondere bei Milchstau, in die Milchgänge gelangen. Die gestauten Ausführungsgänge der Milchdrüse sind dabei als Infektionsweg prädestiniert. Trotz Auftreten von Fieber muss aber nicht in jedem Fall ein Keimbefall vorliegen. 

Bei einer beginnenden Mastitis sind immer das Urteil der Hebamme sowie die Diagnose des Arztes gefragt! Wenn die Brustentzündung durch Bakterien verursacht wird, muss rechtzeitig mit einer geeigneten antibakteriellen Therapie begonnen werden, da eine hoch fiebrige Mastitis ein schweres Krankheitsgeschehen ist. 

Doch eigentlich sollte es unter der Betreuung einer Hebamme erst gar nicht so weit kommen. Falsches Anlegen des Kindes, Ungeduld beim Stillen, sowie Stress können beispielsweise dazu führen, dass die Brust nicht ausreichend entleert wird, was einen Milchstau und Verhärtungen begünstigt. Die Brüste werden dann hart und schmerzhaft. Häufiges und ausreichend langes Stillen, kühlende Umschläge z.B. mit verdünnter Calendula Essenz (WALA, Weleda), aber auch Ausstreichen und die Pflege mit Milchbildungsölen oder Stillölen helfen hier, einem Milchstau und fiebrigen Verläufen vorzubeugen und gleichzeitig die Milchbildung in Gang zu halten, um möglichst lange stillen zu können. Je nach Beschwerdebild können z.B. ausleitende Salben wie die Mercurialis Salbe (Weleda, WALA), sowie verschiedene homöopathische Mittel wie Belladonna D6 (DHU) oder anthroposophische Arzneimittel wie Apis Belladonna cum Mercurio (WALA) unterstützend bei Rötungen und Entzündungen eingesetzt werden. 

Eine Übersicht über mögliche Arzneimittel bei typischen Stillbeschwerden finden Sie in meinem Buch „Selbstmedikation in Schwangerschaft und Stillzeit“ im Kapitel 44 Milchstau, Brustdrüsenentzündung (Mastitis) und Pflege.

 

Annette Abhau: Beim Stillen werden die Brustwarzen stark beansprucht. Um das Wundwerden zu verhindern, rate ich von Beginn an zur sorgfältigen Pflege der Brustwarzen mit verschiedenen Ölen und Salben. Gut geeignet ist, z.B. die Pflegesalbe der Bahnhof Apotheke Kempten oder die Rosatum Heilsalbe (WALA) bei Rhagaden und wunden Brustwarzen. Ebenso wichtig ist eine ausreichende Hygiene, damit äußere Keime erst gar keine Eintrittspforten finden.

Annette Abhau: Soll der Milchfluss vorübergehend etwas gedrosselt werden, kann z.B. Salbeitee getrunken (2-4 Tassen pro Tag) oder auch bestimmte homöopathische Mittel eingesetzt werden wie z.B. Phytolacca D6 Globuli. (Zur Information: Phytolacca D1 oder D2 Globuli wirken abstillend, während Phytolacca D12 Globuli die Milchbildung anregen). Wie gesagt, hier ist die betreuende Hebamme gefragt, der Stillenden mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und sie auch mental zu unterstützen, damit sie genügend Zutrauen zu sich selbst gewinnt und nicht gleich bei den ersten Stillschwierigkeiten ans Abstillen denkt. Denn das Stillen ist wichtig für das Bonding zwischen Mutter und Kind, für das kindliche Darm-Immun-System und die kindliche Infektabwehr allgemein. 

Natürlich haben hier auch Milchbildungstees sowie Massageöle (Weleda, WALA) ihren Platz.

Annette Abhau: Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten – die Antwort hängt in jedem Fall vom angewendeten Arzneistoff und der Art und Häufigkeit der Anwendung ab. Die entscheidende Frage ist dabei immer, welche Wirkstoffmenge in der Muttermilch ankommt und mit welchen Nebenwirkungen dann beim Kind zu rechnen ist. Bei äußerlicher Anwendung gelangt in der Regel weniger Wirkstoff in die Muttermilch als bei innerlicher Anwendung. Zudem lässt sich anhand der Halbwertszeit des Arzneistoffes berechnen, wann der Wirkstoff den Körper wieder verlassen hat. Die Halbwertszeit gibt an, nach welcher Zeit die Hälfte des zugeführten Arzneistoffes wieder ausgeschieden ist und man rechnet, dass nach 5 Halbwertszeiten der Wirkstoff endgültig den Körper wieder verlassen hat. Außerdem ist zu bedenken, dass die Mutter einen Wirkstoff in der Regel schneller verstoffwechselt und ausscheidet als das gestillte Kind. Die Halbwertszeiten eines Wirkstoffes sind beim Kind in der Regel länger als bei der Mutter. 

Abgesehen davon ist immer auch die Frage, wie klinisch relevant ein Restgehalt eines Wirkstoffes in der Muttermilch ist. Unter ärztlicher Aufsicht und bei guter Beobachtung und Überwachung kann heute häufig auch bei Arzneistoffen gestillt werden, bei denen man vor einigen Jahren noch ein Stillverbot ausgesprochen hätte. Daher ist eine vertrauensvolle Kommunikation zwischen Arzt und Patient/in sehr wichtig, um notwendige Therapien nicht aus Unwissenheit oder falscher Vorsicht zu früh abzubrechen. Selbstverständlich wird jeder Arzt bemüht sein, in der Stillzeit ohnehin möglichst lang bewährte und bekannte Arzneistoffe einzusetzen und diese dann wiederum möglichst niedrig dosiert und über einen möglichst kurzen Zeitraum. 

Wichtig zu wissen: Eine notwendige Stillpause muss nicht automatisch ein Abstillen bedeuten. Die Stillende kann für diese Zeit die Milch abpumpen und verwerfen, um den Milchfluss aufrechtzuerhalten und nach der Arzneitherapie ihr Kind weiter zu stillen.

Annette Abhau: Die Frage führt eigentlich am Ziel vorbei. Aber es ist gut, dass Sie diese Frage stellen, denn sie spiegelt einen grundsätzlich falschen Umgang mit Arzneimitteln wider, insbesondere mit Schmerzmitteln. Schmerzen und Fieber sind Symptome, die auftreten, weil der Organismus bspw. gerade mit einer bakteriellen oder viralen Infektion zu kämpfen hat. Fieber ist eine wichtige Reaktion des Körpers auf eingedrungene Keime, die bei erhöhter Temperatur besser bekämpft werden können. Schmerzen sind ein Warnsignal des Körpers, dass etwas nicht stimmt – chronische Schmerzen weichen davon ab und müssen daher anders behandelt werden als akute Schmerzen. 

Deshalb sollte man sich stets die Frage stellen, *warum* Fieber und Schmerzen auftreten, wo genau, in welchem Ausmaß und welche weiteren Beschwerden ggf. aufgetreten sind. Ich berate immer dahingehend, den Ursachen des Fiebers oder der Schmerzen auf den Grund zu gehen und dort passgenau medikamentös und auch nicht-medikamentös den Organismus bzw. das Immunsystem zu unterstützen, um die Genesung zu fördern. Selbstredend werden alle schweren Fälle an den Arzt verwiesen. 

Ich werde daher niemanden, erst recht keine Schwangere oder Stillende ermutigen, ein Schmerzmittel einzunehmen, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Meist gibt es bewährte Alternativen zu Paracetamol & Co. Wenn im Rahmen der Selbstmedikation tatsächlich ein chemisch-synthetisches Schmerzmittel benötigt wird, rate ich während der Schwangerschaft zu Paracetamol, in der Stillzeit bevorzugt zu Ibuprofen, da es noch weniger in die Muttermilch übergeht als Paracetamol. Bei Unverträglichkeit von Ibuprofen kann in der Stillzeit auch Paracetamol eingesetzt werden.

Experteninterview mit Dr. Annette Abhau: Medikamente in der Stillzeit

Dr. Annette Abhau

Dr. Annette Abhau ist seit mehr als 30 Jahren in der öffentlichen Apotheke tätig und konnte viel Erfahrung in der täglichen Beratung gerade auch im Hinblick auf die Fragen und Ängste bei Schwangeren und Stillenden sammeln. Außerdem übernimmt sie immer wieder Lehraufträge als Dozentin im Fach Pharmakologie z.B. für Pharmazeutisch-Technische Assistenten (PTA), Hebammen aus Drittländern und derzeitig Hebammen in der Hochschulausbildung. In 2021 erschien ihr Buch „Selbstmedikation in Schwangerschaft und Stillzeit“, ein Handbuch für die Beratung, im Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart. Ihr Buch ist im Buchhandel erhältlich.